
Im Jahr 2021 verschwand Tom Phillips mit seinen drei kleinen Kindern in der Wildnis – was ist mit ihnen geschehen?
Als der neuseeländische Vater Tom Phillips im September 2021 seine drei kleinen Kinder in ein Auto setzte und mit ihnen verschwand, begann eine Geschichte, die das ganze Land über Jahre hinweg beschäftigen sollte.
Vier Jahre lang blieb die Familie verschwunden, lebte versteckt in abgelegenen Buschlandschaften und entzog sich den Behörden – bis die Flucht im September 2025 ein dramatisches und tödliches Ende fand.
Ein Streit vor Gericht und die Flucht ins Ungewisse
Der Auslöser für das Verschwinden war ein langwieriger Sorgerechtsstreit. Phillips, ein Mann aus dem kleinen Ort Marokopa, stand kurz davor, das alleinige Obhutsrecht über seine drei Kinder zu verlieren. Anstatt die gerichtliche Entscheidung zu akzeptieren, entschloss er sich zu einem radikalen Schritt: Er floh mit seinen Kindern in die Wildnis.
Für die Mutter der Kinder begann ein Albtraum. Statt geregeltem Alltag und schulischer Betreuung lebten die Kinder fortan isoliert, abgeschnitten von medizinischer Versorgung und sozialem Umfeld. Was für Phillips offenbar ein Akt der Selbstermächtigung war, bedeutete für die Kinder ein Leben voller Unsicherheit.

Polizeibeamte arbeiten am Tatort | Quelle: Getty Images
Jahre der Unsichtbarkeit
In den ersten Monaten nach dem Verschwinden hofften viele, dass Phillips bald gefunden werden würde. Doch die Polizei stieß auf enorme Schwierigkeiten. Die Region Waikato, geprägt von dichtem Buschland, abgelegenen Farmen und schwer zugänglichem Terrain, bot unzählige Rückzugsmöglichkeiten.
Gelegentlich gab es Sichtungen. Anwohner berichteten von flüchtigen Begegnungen, andere wollten den Vater und seine Kinder beim Einkaufen oder auf Farmstraßen gesehen haben. Doch immer wieder verliefen die Spuren im Nichts.
Kleine Zeichen eines Lebens im Untergrund
Mit der Zeit traten Hinweise zutage, die ein Bild vom Leben der Familie zeichneten. Im Jahr 2023 meldete die Polizei, dass Phillips und eines seiner Kinder auf Überwachungskameras festgehalten wurden – nachdem ein Quadbike gestohlen und ein Geschäft in Piopio aufgebrochen worden war. Für die Ermittler war klar: Phillips suchte nach Wegen, seine Familie mit dem Nötigsten zu versorgen, auch wenn dies bedeutete, Gesetze zu brechen.
Die Öffentlichkeit reagierte zwiespältig. Während einige Menschen Verständnis für einen Vater äußerten, der offenbar verzweifelt um seine Kinder kämpfte, kritisierten andere die Gefährdung der Minderjährigen. Aus einem Vermisstenfall war längst eine polizeiliche Fahndung geworden.
Ein Camp im Busch
Erst Jahre später, nach dem Ende der Flucht, zeigte sich, wie die Familie gelebt hatte. Fotos, die die Polizei veröffentlichte, dokumentierten ein improvisiertes Camp tief im Busch. Zu sehen waren notdürftig errichtete Unterstände, Zelte, einfache Kochstellen und verstreute Alltagsgegenstände.
Für Außenstehende wirkte das Lager wie ein Relikt aus einer anderen Zeit. Für die Kinder aber war es jahrelang Heimat gewesen – ein Zuhause ohne Elektrizität, ohne Schulunterricht, ohne die Normalität, die Gleichaltrige kannten. Die Bilder warfen ein Schlaglicht auf die extremen Bedingungen, unter denen sie aufwuchsen.
Einige Experten verwiesen darauf, dass Kinder zwar erstaunliche Anpassungsfähigkeiten besitzen, gleichzeitig aber gravierende Entwicklungsdefizite entstehen können. Fehlender Schulunterricht bedeutet Lücken in Bildung und Sozialisation, fehlende medizinische Betreuung birgt gesundheitliche Risiken.

Der Zeltplatz, auf dem der Vater mit seinen Kindern lebte | Quelle: facebook.com/WaikatoPolice
Eine Gesellschaft im Zwiespalt
In Marokopa und Umgebung blieb der Fall Gesprächsthema. Viele Einheimische kannten Phillips persönlich, sahen ihn nicht nur als Flüchtigen, sondern auch als Mitglied der Gemeinschaft. Manche hatten Verständnis für seine Entscheidung, andere verurteilten sie scharf.
Die Polizei stand unter Druck. Mehrfach wandten sich Ermittler an die Öffentlichkeit, baten um Hinweise und warnten gleichzeitig vor Eigeninitiativen. Doch die jahrelange erfolglose Suche führte zu wachsender Frustration – sowohl in der Bevölkerung als auch in den Behörden selbst.
Zudem entstand ein Spannungsfeld zwischen Privatsphäre, Elternrechten und staatlicher Fürsorgepflicht. Einige sahen im Handeln von Phillips einen Akt der Rebellion gegen ein System, das Väter im Sorgerechtsstreit benachteilige. Andere wiederum betonten, dass er vor allem das Wohl seiner Kinder aufs Spiel gesetzt habe.

Der Zeltplatz, auf dem der Vater mit seinen Kindern lebte | Quelle: facebook.com/WaikatoPolice
Das abrupte Ende einer langen Suche
Am 8. September 2025 kam es schließlich zu einem Polizeieinsatz im Waitomo-Distrikt. Bei diesem Einsatz wurde Tom Phillips erschossen. Die genauen Umstände sind noch Gegenstand von Untersuchungen, doch fest steht: Mit seinem Tod endete eine Flucht, die über Jahre hinweg die Schlagzeilen bestimmt hatte.
Die drei Kinder wurden noch am selben Tag gefunden. Nach Angaben der Behörden sind sie „den Umständen entsprechend wohlauf“. Doch was das in der Realität bedeutet, ist offen. Vier Jahre in Isolation hinterlassen Spuren – körperlich, psychisch und sozial.
Die Kinder im Mittelpunkt
Experten für Kinderschutz betonen, dass die nun beginnende Phase entscheidend sein wird. Die Kinder müssen in ein geregeltes Umfeld integriert, medizinisch untersucht und psychologisch betreut werden. Vieles von dem, was sie in den vergangenen Jahren erlebt haben, ist schwer zu erfassen: ein Leben voller Entbehrungen, der ständige Druck, entdeckt zu werden, und die Abhängigkeit von einem Vater, der selbst unter enormem Stress stand.
Ob sie je ein normales Leben führen können, bleibt ungewiss. Doch die Behörden bemühen sich, ihnen einen Neuanfang zu ermöglichen.

Zwei Polizeibeamte stehen vor der Weill-Synagoge | Quelle: Getty Images
Für die Mutter der drei Kinder endete mit dem Auffinden eine jahrelange Zeit der Ungewissheit. Während Tom Phillips mit seinen Kindern in der Wildnis lebte, musste sie vier Jahre lang mit der Angst um deren Wohlergehen leben – ohne zu wissen, ob sie gesund, sicher oder überhaupt noch am Leben waren.
Nach dem Tod von Phillips und der Bestätigung, dass die Kinder in Sicherheit sind, äußerte sie ihre Gefühle öffentlich. Sie sagte, sie habe „vier Jahre lang in Angst um ihre Kinder gelebt“ und sei zwar erleichtert, dass sie nun in Sicherheit seien, aber zugleich „zutiefst erschüttert über das, was geschehen ist“. Damit machte sie deutlich, wie sehr die vergangenen Jahre geprägt waren von Sorge, Hoffnung und nun auch tiefer Erschütterung über die Umstände, unter denen die Geschichte endete.
Internationale Aufmerksamkeit
Der Fall fand nicht nur in Neuseeland, sondern auch international Beachtung. Medien in Australien, Großbritannien und den USA berichteten ausführlich über die Flucht, den jahrelangen Suchaufwand und das dramatische Ende. Die Geschichte erinnerte viele Beobachter an klassische „True Crime“-Fälle, in denen Eltern ihre Kinder aus Angst vor staatlichem Zugriff verstecken.
Besonders diskutiert wurde die Frage, ob ländliche und abgelegene Regionen wie Waikato überhaupt ausreichend überwacht werden können. Für Polizeibehörden weltweit ist der Fall ein Beispiel dafür, wie schwierig es sein kann, Menschen in dünn besiedelten Gebieten aufzuspüren – selbst dann, wenn sie mehrfach öffentlich auffallen.
Vergleichbare Fälle
Der Fall Phillips reiht sich in eine Serie internationaler Geschichten ein, bei denen Eltern ihre Kinder nach Sorgerechtsstreitigkeiten versteckten. In Europa und Nordamerika gab es in den vergangenen Jahrzehnten ähnliche Fälle, die jedoch meist nach wenigen Wochen oder Monaten endeten. Dass eine Familie ganze vier Jahre lang unentdeckt in der Wildnis überlebt, ist hingegen äußerst selten.
Diese Besonderheit macht die Geschichte so eindrücklich – und so erschütternd. Sie zeigt, dass es möglich ist, sich den Behörden langfristig zu entziehen, wenn man bereit ist, extreme Entbehrungen auf sich zu nehmen.
Fragen an Justiz und Gesellschaft
Für Neuseeland stellt sich nun die Frage, welche Lehren aus dem Fall zu ziehen sind. Sollten gerichtliche Entscheidungen im Familienrecht schneller und konsequenter durchgesetzt werden? Muss die Polizei in ländlichen Regionen besser ausgestattet werden? Und wie können Kinder, die aus solchen Situationen gerettet werden, nachhaltig unterstützt werden?
Die Diskussion darüber ist erst am Anfang. Klar ist: Der Fall Phillips wird noch lange nachwirken – in Politik, Gesellschaft und vor allem im Leben der drei Kinder, die nun einen langen Weg der Aufarbeitung vor sich haben.
Was bleibt
Tom Phillips wollte offenbar die Kontrolle über das Leben seiner Kinder behalten. Am Ende zwang er sie in ein jahrelanges Versteckleben und erreichte genau das Gegenteil: einen Verlust von Freiheit, Sicherheit und Unbeschwertheit.
Die Gesellschaft wird noch lange darüber diskutieren, wie es so weit kommen konnte – und welche Schlüsse daraus gezogen werden müssen. Für die Kinder aber zählt jetzt nur eines: die Chance auf ein neues Leben, frei von Angst und voller Stabilität.